Von ANIM inspiriert ist Moritz Merz, ehemaliger Trainee bei Florian’s Firma The Relevent Collective, in der kältesten Winterwoche im Februar 2018 losgepilgert, von Zürich nach Savognin. Die gute Nachtricht: Er lebt noch! Trotz Eiseskälte, 160 Kilometern in den Beinen und Blasen so gross wie Untertassen, ist er nach einer Woche Fuss-Marsch erfolgreich im Stall der Ställe in Savognin eingetroffen. Er teilt mit euch seine Erlebnisse, Highlights, Rückschläge und erzählt, warum er diese Herkulesaufgabe überhaupt in Angriff genommen hat.

Warm eingpegackt am Walensee

 

Ja, warum eigentlich?

Ich bin auf dem Arbeitsweg nach Zürich Binz falsch abgebogen und sechs Tage später habe ich mich im Surses wiedergefunden. Nein, Spass beiseite. Weder die Strecke noch die Mission waren willkürlich gewählt oder bloss eine weitere Etappe auf einem Selbstfindungstrip. Die Wanderung von Zürich nach Savognin unternahm ich sozusagen als letzter Akt meines Praktikums bei The Relevent Collective. Florian, der bereits The Relevent Collective gegründet hat, hat Anfang dieses Jahres zusammen mit seiner Frau Niki und Linda, einer Freundin der beiden, die Denk- und Zukunftswerkstatt ANIM in Savognin ins Leben gerufen.

ANIM: An bester Lage

 

ANIM ist ein Pool von Initiativen zum Kreieren, Erforschen und Implementieren von Zukunftsszenarien für Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Familie und regionale Entwicklung. Die Frage nach dem Sinn, das «WHY», ist Treiber für sämtliche Initiativen. Als ich mit Arbeitskollegin Lora beim Mittagessen zufällig auf den Jakobsweg zu sprechen kam, entwickelte sich bei uns die Idee, zu Fuss von Zürich nach Savognin zu laufen und die Leute, die uns unterwegs begegnen, nach ihrem persönlichen «WHY» zu fragen, um die gesammelten Antworten anslässlich der offziellen Eröffnung von ANIM im Sommer allen Besuchern zugänglich zu machen. Als Connect zwischen The Relevent Collective in Zürich und ANIM in Savognin.

 

Die Mission

Im Zentrum sollte die Frage «Wofür stehst du am Morgen auf?» stehen.

Worauf ich aber hinaus wollte war zu erfahren, wofür die Menschen leben und was sie täglich antreibt. Ich befragte Schüler, Gastronomen, Banker, Anwälte, Reiseberater, Kristallhändler, Bäcker, Jäger, Pensionäre – halt alle, die mir über den Weg liefen, während ich meine täglichen 30 Kilometer abspulte. Das Ganze hielt ich mit der Handykamera fest. Die Antworten von all diesen Menschen, aber auch die Zeit, die ich hatte, inspirierten mich, mir selber Gedanken zu machen darüber, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Was ist meine intrinsische Motivation, jeden Tag aus meinem Boxspringbett zu springen? Stecke ich eigentlich in einem Hamsterrad, ohne es zu merken? Erfüllt mich mein Job? Wie gestalte ich eigentlich die Beziehungen zu meinen wichtigsten Mitmenschen?

Antworten aus aller Welt: Auch Menschen aus dem Ausland steuerten Inputs bei

 

Die Route

Die Reise führte mich durch fünf Kantone. Nach dem vereisten rechten Zürichseeufer (zurecht auch Pfnüselküste genannt, denn meine Nase lief solidarisch mit), führte mein Weg über die Linthebene zum Walensee. Auf der Strecke zwischen Freienbach und Ziegelbrücke blies mir ein so garstiger Wind entgegen, dass meine Augen den ganzen Tag tränten. Dem Weinen ein Ende setzen konnte erst kühles Craft-Beer und ein deliziöses Mahl in der Loft von Kumpel Marc im Jenny Areal.

Meine grobe «Spazierroute» in blau

 

Am Walensee gabs dann erste Sonnenstrahlen und einen schönen Blick auf die mystischen Churfirsten. Speziell schön waren auch die Boxenstopps in urchigen Dorfkneipen, wo ich so einiges an Klatsch und Tratsch aus dem Dorf aufschnappen konnte und gleichzeitig die Flirt-Künste von lokalen Handwerkern mit der sichtlich desinteressierten Serviertochter bestaunen konnte, während im Hintergrund in einer Lautstärke “Grüezi wohl Frau Stirnimaa” aus dem Radio dröhnte.

Eiszapfen: Ja. Es war sommerlich warm…

Vom Glarnerland ging es rüber zu den Olma-Enthusiasten und weiter zu den Bündnern. Die ganze Strecke von Sargans bis nach Chur lief ich dem Rhein entlang und die klirrende Kälte verwandelte meine zwei Wasserflaschen in Eisblöcke. Einen Tag später schwor ich mir, mich nie mehr über die kurvige Autostrecke von Chur auf die Lenzerheide zu beschweren. Nach vier Stunden hatte ich den Aufstieg geschafft und sammelte meinen letzten Kräfte für den Marsch von der Lenzerheide nach Savognin. Zuerst runter nach Tiefencastel und dann über den Julier einen letzten fiesen Anstieg nach Savognin….und JA! Alles zu Fuss! Bis auf 700m Tunnel, die bin ich per Anhalter gefahren, weil das Trottoir gefühlte 10 Zentimeter breit war und die Bündner ihre Subaru-Bauern-Porsche nicht immer gleich sanft durchs Tunnel drücken. Safety first 😉

Angekommen im Sursees

 

Haus am See?

Auch wenn ich viel gelaufen bin, manchmal habe ich auch geschlafen. Man könnte denken, ich hätte ein Zelt dabei gehabt, wie es sich fürs Pilgern gehört. Aaaaaaber, auch wenn ich ein Outdoor Freak bin – der Wunsch alle Finger und Zehen zu behalten war in diesem Fall grösser als die Abenteuerlust. Ich brauchte also eine Alternative. Nach dem ich die Route abgesteckt hatte, gings darum zu überlegen, welche Strecke täglich machbar ist. Ich entschied mich, ungefähr alle 30 Kilometer einen Schlafplatz zu organisieren.

 

Im Zeitalter von Shared-Economy und Social Media schläft ein extrovertierter, leidenschaftlich vernetzter, neugieriger, unkomplizierter Pilgerer nur im Notfall im Hotel.

 

Als ich also auf Facebook dazu aufrief, ob jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der vielleicht einen Cousin achten Grades an einem der Orte hätte, da schalteten sich meine Freunde ein. Das Resultat war eine Woche mit extrem diversen, gemütlichen, teils sehr luxuriösen und spannenden Schlafplätzen.

 

DIE VILLA AM SEE

Pas mal: Blick vom Bett

Im Steuerparadies Freienbach (SZ) übernachtete ich fünf Meter vom See entfernt in einer herrlichen Villa mit Seeanstoss. Eine befreundete Familie aus Zürich überliess mir freundlicherweise den Schlüssel, obwohl sie nicht mal da war. Der einzige Nachteil war also die Zimmerauswahl – denn es waren einfach zu viele. #firstworldproblems. WIE GEIL! Für den Morgenschwumm war es dann leider zu kalt.

 

DIE EXTRAVAGANTE LOFT

Schlafplatz Nr. 2: Leider geil

Die zweite Nacht verbrachte ich in einer riesigen Loft mit privatem Badesee. Wie habe ich das bloss verdient? Superhost und Hobbyalpinist Marc erwartete mich bereits mit Speis und Trank. Dann schauten wir uns eine Doku über den verstorbenen Extrembergsteiger Ueli Steck an. Irgendwie war danach der eigene Muskelkater plötzlich nicht mehr so schlimm. Denn: Wenn Steck 82 Viertausender in 62 Tagen besteigt, schaffe ich es wohl zu Fuss nach Savognin. Marc war so gastfreundlich, also ob wir schon Jahren befreundet wären, dabei kannte ich ihn vor meinem Eintreffen gerade mal von einem halbstündigen Gespräch im letzten Sommer.

 

TINDER ODER KINDERZIMMER

Oh wie wunderbar: Sonniges Sargans

Für die dritte Nacht hatte ich bis vier Uhr Nachmittags keinen Schlafplatz auf sicher. Im Sarganserland bin ich leider sehr dürftig vernetzt. Ich sah mich schon auf die Dating-App Tinder zurückgreifen. Zwischen Walenstadt und Sargans rief mich dann eine Freundin an und verkündete mir die frohe Botschaft, dass ich bei einer Familie unterkommen könne. Zwei Stunden später sass ich mit einem extrem sympathischen Software Entwickler und seinen Kids bei einem angeregten Gespräch um den Küchentisch. Ich vertilgte Berge «Ghackets mit Hörnli» und schlief bereits um neun Uhr wie ein Stein. Ich machte es mir unter einer Cars-Bettdecke im Kinderzimmer bequem.

 

BLICK ÜBER GANZ CHUR

#wokeuplikethis


Auch die vierte Nacht sollte für mich nicht in einem unpersönlichen Hotelzimmer enden. Meine Arbeitskollegin Lora erinnerte sich an Studienfreundin Lucrezia, die mit Freund und Kind in der Bündner Metropole Chur zu Hause ist. Obwohl die zwei in den Bergen zum Skifahren waren und ich die beiden noch nie gesehen habe, haben sie den Hausschlüssel für mich im Garten versteckt. Ich habe selten ein Haus mit mehr Charme gesehen. Man merkt sofort, dass hier eine glückliche kleine Familie wohnt. Ein wunderschöner Holzboden, liebevolle Einrichtung, Bücher soweit das Auge reicht und dann dieser Ausblick: WOW! Man sieht über den Weinberg hinab über die ganze Stadt.

 

ÜBERRASCHUNG!

Wanderkleider gegen Leoparden Bademantel getauscht: Krafttanken für den letzten Marsch

Ich freute mich schon die ganze Woche auf den Donnerstag. Dann würde ich nämlich Skilehrer Kumpel Zino und seine Freundin Laura in der Lenzerheide sehen. Als ich die 1000 Höhenmeter erklommen und gefühlte zehn Liter Schweiss verloren hatte, brauchte ich natürlich etwas hopfig-isotonisches, um den Flüssigkeitshaushalt wieder in den Griff zu kriegen. Mit Zino gings direkt in die Berghütte auf ein Calanda. Um 21:00 staunte ich nicht schlecht, als noch weitere Freunde zur Tür rein kamen. Nach einem guten Schwatz mit dem hohen Besuch aus der Limmatstadt begab ich mich in die Heia.

 

Highlights

Eigentlich war die Wanderung EIN EINZIGES Highlight. Dennoch sind mir ein paar Dinge speziell in Erinnerung geblieben.

Moritz in Lachen am lachen

 

Entschleunigung, Ruhe, Antworten, Konversationen, Offenheit, Herzlichkeit, Kontraste, Stimmung, Wind, Wetter, Kraft, Eis, Natur, Fitness, DigitalDetox, Durchatmen, Nähe, Intimität, Fremde, Neugier, Spiritualität, Einsicht, Lernen, Schweiz, WHY

 

 

  • Entschleunigung: Ich bin ein riesen Fan von Slow Travelling und war in den letzten Jahren intensiv Reisen auf der ganzen Welt. In Neuseeland war ich zum ersten Mal eine Woche nur zu Fuss unterwegs. Da wurde mir bewusst, dass Entschleunigung extrem viel mit Wertschätzung zu tun hat. Leute, denen man begegnet, nehmen einen anders wahr, wenn man einen weiten Weg zu Fuss zurücklegt, um Natur und Kultur zu geniessen und ohne Zeitdruck oder Hast in eine Konversation reingeht. Wer heute entschleunigt unterwegs ist gilt als Exot. Viele Leute fürchten Entschleunigung, weil sie einem dazu zwingt, sich vertieft mit sich selber auseinanderzusetzen.

 

 

 

  • Power of Now: Die extreme Kälte und der Wind hatten etwas Magisches. Mir war oft so kalt, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren konnte, als darauf, meinen Körper warmzuhalten, während ich wanderte. Ich war IM Moment.

 

 

 

  • Antworten: Nicht alle Menschen wollten vor der Kamera zur Frage «Wofür stehst du am Morgen auf?» Stellung nehmen. Die Leute waren überrascht, was die Frage bei ihnen auslöste. Ich merkte, dass viele sich diese Frage noch gar nie oder schon ewig nicht mehr gestellt haben. Trotz einigen Absagen zum Filmen entwickelte sich in 90% der Fälle ein Gespräch. Es kam vor, dass Leute mich eine Stunde am Seeufer entlang begleiteten und mir Ihre Lebensgeschichten erzählten. Ich wurde zu Kaffee und Kuchen eingeladen und diskutierte im Schneidersitz über den Sinn des Lebens. Die Menschen öffneten sich und liessen mich an Freude und Frust teilhaben. Es war extrem intim.

 

 

Rückschläge

Die ersten 100km waren die ONs bequem

 

  • Autsch: Nach 100 Kilometern hat einfach alles wehgetan. Trotz den ultra bequemen Schuhen hatte ich Druckstellen und mein Nacken war vom Rucksack tragen doch ziemlich verspannt. So wurde mein tägliches Frühstück (250g Pasta, Standard) ab Tag um zwei Ibuprofen erweitert.
  • Akku: HUAWEI sucks! Ich kannte es bereits vom Iphone, aber dieser Akku liess zu wünschen übrig. Ok, ein bisschen hatte es sicher mit den Temperaturen zu tun.
  • Ich: Heieiei Mo, du wolltest doch leicht Reisen. Als ich dann aber in Landquart einen kurzen Abstecher in die Stadt machte und im Outlet Village Verkäufer befragte war mein Rucksack plötzlich 5kg schwerer. Taktisch klug, lag dieser Shoppingtrip direkt vor den steilen zwei Bergetappen in die Lenzerheide und nach Savognin.

 

 

Zum Abschluss kann ich euch nur folgendes raten:

WOW

  • Pilgert! Es ist der OBERHAMMER. Was Neuseeland kann, kann die Schweiz schon lange!
  • Stellt euch die Frage «Wofür stehe ich am Morgen auf?»
  • Hört den Podcast 😉

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