Da es in letzter Zeit um ANiM etwas ruhig geworden ist, wollte Peder A. Baltermia von der lokalen «Pagina» wissen, was läuft und hat uns zum Interview eingeladen. Angraztg fitg, Peder!

Die Originalausgabe in Rätoromanisch-Surmiran findet sich hier > Download PDF


pb. ANiM wurde im Jahre 2017 als private Denkanstalt für die Region Surses und Albula gegründet. Es sollte ein Projekt für die Gestaltung der Zukunft werden. Man ging gleich frisch und unbekümmert ans Werk. Immer im festen Willen, aus jeder Situation etwas Positives zu gestalten. In letzter Zeit wurde es um ANiM etwas ruhiger.

Die drei privaten Initianten und Macher waren Linda Netzer, Niki Wiese und Florian Wieser. Sie waren fest entschlossen der Region neue Impulse zu geben, Und zwar in wirtschatlicher, sozialer und kultureller Hinsicht. Man hatte sich in der «clavadeira» der von Peterelli am Stradung 26 eingemietet.

In den letzten drei Jahren hat es im Stall die verschiedensten Veranstaltungen gegeben: Workshops mit diversen Gruppen und zu diversen Themen. Mit ganz jungen Leuten, mit Frauen, mit Gesangsinteressierten, mit Touristikern, mit Medienvetretern, mit Technikinteressierten, mit Kunstvetertern usw. ANiM streckte immer mehr seine Fühler aus und knüpfte Kontakte, suchte Pioniere und organisierte öffentliche Gespräche am runden Tisch. Man hat getüftelt, Ferienpasskurse angeboten, sich in anderen Dörfern getroffen und sich eigentlich für alles interessiert, was sich in dieser Region abspielt (früher wie heute) und wo Entwicklungspotenzial schlummert.

In der letzten Zeit hörte man nicht mehr soviel von ANiM. Sicher auch Corona-bedingt. Doch jetzt wurde das ANiM-Emblem abmontiert und der Kunstdrucker und Grafiker Roland Oehler zog neu mit seinen Büro in den Stall.

Wir haben bei Niki Wiese und Florian Wieser nachgefragt.

Ist ANiM nicht mehr im Stall am Stradung 26?

Ja, wir sind seit Juni «immobilienbefreit» unterwegs. Wir haben bei «ANiM sen tura» gesehen, wieviele inspirierende Orte es gibt, die neue Perspektiven eröffnen und dass es vielleicht besser ist, wenn wir zur Bevölkerung hingehen, anstatt darauf zu warten, bis sie zu uns kommt. Wir sind noch immer da für Menschen, die eine Sprechstunde mit uns wollen. Wir reden an ihren Lieblingsorten oder auch auf der grünen Wiese über ihre Projekte und Ideen.

Aber es hat bei ANiM strukturelle Veränderungen gegeben?

Auch das ist richtig. Bereits Ende 2019 hatte sich Linda entschieden, sich voll auf ihre Rolle als Standortentwicklerin zu fokussieren und ist aus dem Verein ANiM ausgetreten. Wir haben uns dann weiterhin zu zweit dafür eingesetzt, Gleichgesinnte zu finden, die mit ähnlicher Motivation an einer Öffnung und gemeinsamen Belebung des schönen grossen Stalls mitwirken wollten.

Nach einer intensiven Ausstellungswoche mit vielen Gesprächen im Februar wurde uns – noch vor dem Corona-Hammer – klar, dass dieses Ziel noch in der Ferne liegt.

Veränderungen haben meist ihre Gründe?

Für uns zwei alleine, die wir nach wie vor mit Kindern, Haus und weiteren Jobs im Unterland leben, reichten die Kapazitäten für einen Betrieb, der dem Raum und den Kosten angemessen ist, nicht mehr. Da mussten wir den schmerzhaften Entscheid fällen, aus dem Stall auszuziehen. Auch konnten wir nach den ersten zwei Jahren eine klare Bilanz ziehen, welche Resonanz wir mit unserem Konzept überhaupt erreichen können. Auch diese Bilanz sprach für eine Kurskorrektur und dafür, unsere Arbeit an diversen Orten im Tal zu machen. Veränderung und Zukunftsgestaltung haben nie eine Mehrheit, schon gar keine kommerziell tragende Mehrheit.

ANiM ist wirklich mit viel Power mit dem Projekt gestartet. Was hat die Initianten in ihrem Elan eher gebremst?

Ja, wir waren auf den ersten Blick in den Stall verliebt, haben das Projekt ohne ausgereiftes Konzept aus einer starken intuitiven Überzeugung heraus gestartet und sind gleich mal mit dem Schnellzug eingefahren. Es war Teil unserer Idee, erstmal viele Experimente durchzuführen, viele Formate auszuprobieren, Resonanz zu spüren und das Profil erst während dem Tun zu entwickeln. Das machte es natürlich der Bevölkerung nicht einfach, uns zu verstehen und einzuordnen. Wir haben wohl viele wunderbare Menschen kennengelernt, die uns entgegen vieler anfänglicher Warnungen sehr herzlich willkommen geheissen haben und mit denen wir intensive und produktive Zukunftsworkshops und Sprechstunden abhalten konnten. Es haben auch viele aus der breiten Bevölkerung einfach mal vorbeigeschaut. Nur für die Grössenordnung des Stalls hätte es ganz einfach von allem mehr gebraucht: mehr Publikum, mehr Veranstaltungen, mehr Erträge, mehr Ressourcen.

Auch das Sichtbarwerden gegenüber Förderpartnern braucht seine Zeit. Unser Tätigkeitsfeld als «Social Business» ist neu und daher passen wir nicht einfach in Schubladen und bestehende Strukturen der Förderlandschaft. Da aber die Betriebskosten hoch waren, mussten wir agieren. Mangelnde Zeit und keine Aussicht auf finanzielle Unterstützung sowie keine verbindlichen Zusagen zum gemeinsamen Betrieb des Stalls hat in viele Richtungen Stress generiert. Da möchten wir jetzt etwas mehr Ruhe reinbringen und die gesäten Samen keimen lassen. Wir alle wissen ja, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man an ihm zieht.

Es ist nichts Aussergewöhliches, dass man sich nach einer Anfangsphase neu ausrichtet. In welche Richtung soll es nun gehen?

Wir bieten weiterhin die «Sprechstunde» an. Wenn jemand eine grobe Idee, ein gärendes Projekt, eine Business-Idee oder sonst ein Vorhaben schärfen und Mut tanken möchte, dann kann er oder sie über die Website www.anim.jetzt einen persönlichen Termin mit uns abmachen – wir treffen uns dann online oder an einem inspirierenden und geeigneten Ort im Surses oder Albulatal. Ein ermutigendes Gespräch mit grosser Nachwirkung kann überall geführt werden. Wichtig ist, dass es geführt wird.

Des weiteren bieten wir seit diesem Frühling in Zusammenarbeit mit Aaron Wasescha und Stefan Graf aus Savognin, Helmut Andres aus Parsonz und Donato Stillhart aus Alvaneu das «Tüftellabor» für Kinder und Jugendliche an. Und nach den Sommerferien starten wir mit dem Online-Format «Wisdom Circle», wo wir uns mit Interessierten regelmässig zu Zukunftsthemen austauschen und die bereits lebendigen Beziehungen pflegen.

Falls im Austausch mit lokalen Menschen eine Projektidee Feuer fängt, sind wir sofort parat. Auch wenn jemand mit einer Idee auf uns zukommen, mit uns einen Workshop durchführen möchte oder an unseren Erkenntnissen oder einem Impuls interessiert ist, freuen wir uns.

Das Surses, die Region Albula ist Peripherie. Ist die Region einfach zu kleinräumig um grössere Projekte anzugehen?

Das wäre eine zu einfache Ausrede. Und das habt ihr auch schon oft genug gehört. Das kann nun noch 100 Jahre weiter so erzählt werden oder wir können die Geschichte umschreiben. Der Unterschied ist nur: Man muss es wollen. Wir haben viele Menschen getroffen, die etwas anderes wollen, in der Region bleiben und aktiv sind und wunderbare Wege gefunden haben, es zu schaffen. Wir glauben sowieso an die Kunst und die Kraft der kleinen Handlungen und der kleinen Projekte! Demokratisch organisierter Wandel auf höheren Ebenen wird überhaupt erst möglich, wenn das Vertrauen in Veränderungen im Kleinen erprobt ist. Das bedingt ein Miteinander, das wenig trainiert ist, hier und überall auf der Welt – dass Aufholbedarf besteht, zeigt uns die Corona-Krise ganz offensichtlich. Es bedingt auch zu verstehen, dass viele kleine Projekte mächtig werden können. Das kehrt das Weltbild des einen oder anderen natürlich auf den Kopf. Das muss man aushalten. So geht Veränderung «von unten». So entstehen neue Realitäten.

ANiM ging es ja nicht darum, fixfertige Projekte anzubieten, sondern Ideen und Impulse zu geben. Kam zu wenig aus der Region resp. der Bevölkerung selber?

Jein. Es gibt im Surses und Albulatal viel Macher*innen-Geist. Menschen möchten ihre Zukunft nicht nur auf sich zukommen lassen, sondern sie an die Hand nehmen und mitgestalten. Wir wünschen ihnen nur, dass die Vernetzung sie stark macht und dass sie sich auch bewusst genügend Zeit für Kommunikation und Austausch nehmen. Wir haben innert zwei Jahren viele Menschen entdeckt, die an Veränderung arbeiten und dürfen glaub getrost behaupten, dass ANiM an der einen oder anderen nicht ganz unschuldig ist. Wir sind, auch wenn das Abmontieren einer Fassadenschrift sich nicht gerade beflügelnd anfühlt, durchaus erfolgreich mit ANiM. Wir sehen da und dort die Früchte unserer Arbeit reifen.

Heisst es nun, dass man einen oder mehrere Gänge zurückschalten will oder muss?

Ja, wir geben nun Raum, damit sich in Ruhe zeigen kann, was überhaupt gewünscht ist, wo sich Wirkung entfaltet und ob der Gedanke von ANiM sich weiter verbreiten mag. Den Gang bestimmt die Bevölkerung. Wir sind nur einen Klick entfernt für eine Sprechstunde. Dafür geben wir unsere bekannten 100%. Denn nichts hat mehr Energie von uns verdient, als ein mutiger Schritt, das Gespräch über ein Vorhaben zu suchen.

Was wird von ANiM bleiben und was wird eventuell neu oder anders dazukommen?

Wir hoffen, dass wir den Menschen, die sich mit uns ausgetauscht haben und weiterhin austauschen, im Herzen bleiben und dass sie dies anderen auch erzählen und vermitteln, damit die zukunftsorientierten Stimmen Gehör finden.

Neu ist, dass wir mit den gemachten Erfahrungen das Projekt «zukunftbureau.org» gestartet haben und ANiM darin integrieren möchten. Mit dem Format der Sprechstunde als Hauptangebot sind diese Zukunftsbüros als «Anlaufstellen für Zukunftsfragen» innert neun Monaten, mit weiterhin viel Eigenleistung sowie der Unterstützung einer Stiftung und dem Bundesamt für Raumentwicklung auf schweizweit 50 Orte mit über 100 Betreiber*innen gewachsen. Und wir wachsen wöchentlich weiter, erfreulicherweise vor allem im ländlichen Raum und auch über die Schweizer Grenzen hinaus nach Deutschland und Österreich. Das Modell ANiM macht Schule.

Wenn sich hier im Tal jemand dazu berufen fühlt, die Federführung für das «Zukunftbureau Surses» zu übernehmen, mit dem minimalen Angebot von zwei Stunden «Sprechstunde» pro Monat wäre dies ein grandioser Rückkoppelungseffekt.

Niki Wiese, Florian Wieser, was wünscht Ihr für die Zukunft von ANiM und was von den Einheimischen und Zweitheimischen?

Wir wünschen uns für ANiM und vor allem für die Bevölkerung eine gute Gesprächskultur, die die Menschen mit Anliegen und Vorhaben stärkt und dass das Reden nicht pauschal als «sinnloses Gelaber» gegenüber dem «viel wertvolleren Machen» abgetan wird. Die moderne Hirnforschung zeigt, dass der Weg für Neues geebnet wird, je öfter man über das Neue nachdenkt und es vor allem laut ausspricht – also darüber redet. Insofern wünschen wir dem Surses viel Vorstellungskraft für Neues. Reflektiertes Handeln hat einen grossen Mehrwert. Wir wünschen uns, dass man im Surses weiss, dass es uns als Anlaufstelle für solche Gespräche gibt. Damit man über reale Visionen reden kann und sich nicht nur mit zu erledigenden Basics aufhält. Es sind die Visionen, die erst Kraft und Freude freisetzen – für Neues und das, was zu erledigen ist, schafft man daneben auch noch. Forza Futura!